Die Vliesstoffproduktion bekam zu Corona-Zeiten in der breiten Öffentlichkeit so viel Aufmerksamkeit wie selten zuvor, denn das technische Textil ist entscheidend für den Infektionsschutz. Die Feinst-Vliesstoffprodukte werden in sogenannten Meltblown-Verfahren hergestellt. Ein abteilungsübergreifendes Team des Fraunhofer-Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern optimiert im Projekt »ProQuIV« die gesamte Produktionskette. Dabei helfen Simulationen die Produktqualität des Filtermaterials trotz Schwankungen in der Herstellung zu garantieren.

Das Kürzel »ProQuIV« steht für »Produktions- und Qualitätsoptimierung von Infektionsschutzkleidung aus Vliesstoffen«. Denn gerade zu Beginn der Covid-19-Krise waren Engpässe bei der Produktion dieser Materialien zu beobachten. Für die Klasse der Meltblown-Vliesstoffe gestaltet sich diese Optimierung der Produktqualität zudem besonders schwierig, weil die Prozesse sehr sensitiv auf Schwankungen und Materialunreinheiten reagieren.

Digitaler Zwilling hat das große Ganze im Blick

»Meltblown« heißt der industrielle Herstellungsprozess, dessen Feinstfaser-Vliesstoffe dafür verantwortlich sind, dass z.B. in Gesichtsmasken die entscheidende Filterfunktion gegeben ist. Dabei wird das geschmolzene Polymer durch Düsen gepresst, und zwar in einen vorwärts strömenden Hochgeschwindigkeitsstrom. Es wird in einer stark turbulenten Luftströmung gedehnt und abgekühlt. »Der Gesamtprozess der Filtervliesherstellung – von der Polymerschmelze bis zum Filtermedium – stellt in der Simulation eine große Herausforderung dar«, erklärt Dr. Konrad Steiner, Leiter der Abteilung »Strömungs- und Materialsimulation«. »Wir haben im Projekt das große Ganze im Blick und eine komplett durchgängige Bewertungskette als digitalen Zwilling entwickelt. Dabei berücksichtigen wir gleich mehrere Schlüsselkomponenten: Wir simulieren die typischen Produktionsprozesse von Vliesstoffen, die darauf basierende Entstehung der Faserstrukturen und anschließend die Materialeigenschaften – hier insbesondere die Filtereffizienz. Damit lassen sich dann die Einflüsse des Herstellungsprozesses auf die Produkteigenschaften quantitativ bewerten.« In jedem dieser Einzelbereiche gehört das Fraunhofer ITWM mit seinen Expertinnen und Experten international zu den führenden Forschungsgruppen.

Homogenität des Materials – weniger Wolken am Simulationshimmel

Beim Meltblown-Verfahren liegt ein Schlüsselfaktor auf dem Verhalten der Filamente im turbulenten, heißen und schnellen Luftstrom. Die Fäden werden durch diese Luftströmung stark in ihren Eigenschaften beeinflusst. Die Qualität der Filamente – und damit am Ende der Vliesstoffe – wird durch viele Faktoren beeinflusst. Was das in der Praxis genauer heißt, weiß Dr. Dietmar Hietel, Leiter der Abteilung »Transportvorgänge«. Sein Team beschäftigt sich am Fraunhofer ITWM schon seit Jahren mit der Simulation von verschiedenen Prozessen rund um Filamente, Fäden und Fasern. »Im Fokus des Projekts steht die sogenannte Wolkigkeit, d.h. die Ungleichmäßigkeit, mit der die Fasern im Vliesstoff verteilt sind«, erklärt Hietel. »Wir gehen der Frage nach: Wie homogen ist der Stoff? Denn die Qualität der Produkte kann stark verbessert werden, wenn wir solche Ungleichmäßigkeiten optimieren. Unsere Simulationen helfen dabei herauszufinden, wie das gelingt.«

Objektive Bewertung der Homogenität der Vliesstoffe

Zur Quantifizierung dieser Wolkigkeit setzen die Forschenden zudem passende Bildanalysetechniken ein. Das Powerspektrum spielt dabei eine besondere Rolle.

»Der Wolkigkeitsindex (CLI) beschreibt die Homogenität komplementär zu lokalem Flächengewicht und seiner Varianz,« beschreibt Dr. Katja Schladitz. Sie bringt ihre Expertise in der Bildverarbeitung in das Projekt mit ein. »Unser CLI stellt eine robuste Bewertung der Homogenität sicher und kann somit für verschiedene Materialklassen und Abbildungstechniken als objektives Maß genutzt werden« Die Frequenzen, die in die CLI-Berechnung eingehen, können so gewählt werden, dass der CLI aussagekräftig für das jeweilige Anwendungsgebiet ist.

Filtration: Wie effizient sind die Filter

Bei der Hochskalierung auf Industrieprozesse wie bei der Maskenproduktion fließt zudem die ITWM-Expertise rund um Filter in das Projekt mit ein. Das Team »Filtration und Separation« um Dr. Ralf Kirsch beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem mathematischen Modellieren und Simulieren verschiedenster Trennprozesse.

»Das Besondere an diesem Projekt: Wir berechnen die Effizienz der Filter für unterschiedlich stark ausgeprägte Schwankungen des Faseranteils im Filtervlies«, betont Kirsch. »Dadurch können wir angeben, bis zu welchem Wolkigkeitsgrad die geforderte Filtereffizienz überhaupt erreichbar ist.« Als aktuelles Beispiel hierfür sieht man in der Grafik die Effizienz eines Filtermaterials für N95-Masken in Abhängigkeit von der Inhomogenität des Vliesstoffes.

ITMW-Methoden unterstützen über die ganze Prozesskette hinweg

Digitale Zwillinge und Berechnungen aus dem Hause Fraunhofer ITWM unterstützen in »ProQuIV« die Prozesse ganzheitlich zu überschauen und besser zu verstehen. Die Produktion der technischen Textilien wird damit nicht nur effizienter, sondern die Vliesstoffe lassen sich virtuell entwickeln, ohne dies vorab in einer Versuchsstätte zu realisieren. So können Produktionskapazitäten bei gleichbleibender Qualität gesteigert werden. Gemeinsam mit langjährigen Partnern aus der Industrie kann die Forschung schnell und effizient in der Praxis zum Einsatz kommen.

Simulationen sparen Textil-Unternehmen Experimente, erlauben neue Einblicke, ermöglichen systematische Parametervariationen und lösen Upscaling-Probleme, die sonst zu Fehlinvestitionen beim Übergang von der Laboranlage zur Industrieanlage führen können. Die virtuelle Umsetzung der Vliesstoffproduktion eröffnet aber auch neue Möglichkeiten zur Optimierung auf anderen Ebenen. So können auch akustische dämmende Vliesstoffe oder auch Hygiene-Vliesstoffe hinsichtlich ihrer Produktgüte genau auf die zu erzielende Materialeigenschaften hin optimiert werden – und das unter Berücksichtigung der auftretenden Prozessschwankungen.

Das Projekt ist Teil des Programms »Fraunhofer versus Corona« der Fraunhofer-Gesellschaft und wurde im April 2021 abgeschlossen. Die Ergebnisse fließen in mehrere Folgeprojekte mit der Vliesstoffindustrie ein.

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Die Fraunhofer-Gesellschaft ist die führende Organisation für angewandte Forschung in Europa. Unter ihrem Dach arbeiten 72 Institute und Forschungseinrichtungen an Standorten in ganz Deutschland. Mehr als 26 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erzielen das jährliche Forschungsvolumen von 2,6 Milliarden Euro. Davon fallen ca. 2,2 Milliarden Euro auf den Leistungsbereich Vertragsforschung. Rund 70 Prozent dieses Leistungsbereichs erwirtschaftet die Fraunhofer-Gesellschaft mit Aufträgen aus der Industrie und mit öffentlich finanzierten Forschungsprojekten. Internationale Kooperationen mit exzellenten Forschungspartnern und innovativen Unternehmen weltweit sorgen für einen direkten Zugang zu den wichtigsten gegenwärtigen und zukünftigen Wissenschafts- und Wirtschaftsräumen.

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Das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern zählt zu den größten Forschungsinstituten für angewandte Mathematik weltweit. Wir sehen unsere Aufgabe darin, die Mathematik als Schlüsseltechnologie weiterzuentwickeln und innovative Anstöße zu geben. Unser Fokus liegt auf der Umsetzung mathematischer Methoden und Technologie in Anwendungsprojekten und ihre Weiterentwicklung in Forschungsprojekten. Das enge Zusammenspiel mit Partnern aus der Wirtschaft garantiert die hohe Praxisnähe unserer Arbeit.

Deren integrale Bausteine sind Beratung, Umsetzung und Unterstützung bei der Anwendung von Hochleistungsrechnertechnologie und Bereitstellung maßgeschneiderter Software-Lösungen. Unsere verschiedenen Kompetenzen adressieren ein breites Kundenspektrum: Fahrzeugindustrie, Maschinenbau, Textilindustrie, Energie und Finanzwirtschaft. Dieses profitiert auch von unserer guten Vernetzung, beispielsweise im Leistungszentrum Simulations- und Software-basierte Innovation.

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