Schweizer Autofahrer nutzen zahllose Autoreifen ab. Statt sie zu verbrennen, liessen sie sich quasi vor Ort wiederverwenden: Im Asphalt anderer Länder steckt längst Gummi aus Altreifen. Die Empa und Partner aus der Praxis beleuchten diese Idee für Schweizer Verhältnisse.

Autopendler, die über Verkehrsstress nörgeln, könnten dann und wann den Blick nach unten richten. Denn dort liegt einer, der es schwerer hat: Asphalt erträgt glühende Hitze, Kältestress und jede Menge Druck von oben. Möglichst leise soll er auch noch sein – und in Zukunft natürlich umweltfreundlicher.

Geformt aus einer heissen Gesteinsmischung und dem Bindemittel Bitumen bei etwa 160 Grad sorgt Asphalt für hohen CO2-Ausstoss – durch Produktion, lange Transportwege und den Einbau. Um seine Umweltbilanz aufzubessern, wird Alt-Asphalt, schon heute rezyklierbar, künftig in grossem Stil in neuen Belägen landen. Zudem lassen sich Recyclingbeton oder andere Reststoffe in ihm «entsorgen» – etwa ausgediente Autoreifen, von denen es in der Schweiz reichlich gibt.

Ein Innosuisse-Projekt unter Federführung der Empa-Abteilung «Beton und Asphalt» hat erkundet, welchen Nutzen diese Idee hierzulande haben könnte. Konkret: Können Gummipartikel die Polymere in polymer-modifiziertem Bitumen für hochbelasteten Asphalt ersetzen? Schliesslich verleihen Verbindungen wie das verbreitete Styrol-Butadien-Styrol dem Belag mehr Plastizität, eine bessere Rückverformung und eine längere Lebensdauer.

Der Fokus des Projekts lag auf der Praxis: Nach einigen Vorversuchen entstanden die Asphaltmischungen für die Experimente bei den Herstellern FBB und Weibel AG. Die Sorten orientierten sich am Ernstfall: «SDA 4-12», ein «Flüster»-Deckbelag, in dem viele Luftporen die Lärmemission mindern. Und «AC B22 H», der sich für eine so genannte Binderschicht darunter eignet – in diesem Fall zeitgemäss mit 30 Prozent Recyclingasphalt. Auch die ausgewählten Gummigranulate stammten aus der Schweiz, vom Hersteller Tyre Recycling Solutions (TRS) in Préverenges im Kanton Waadt.

Nass oder trocken?

Gummi-Asphalt lässt sich mit zwei Verfahren herstellen. Bei der «nassen» Methode wird das Gummigranulat dem heissen Bitumen zugefügt; dann mischt man die Mixtur mit der definierten Gesteinskörnung – je nach Belag aus Sand und unterschiedlich grossen Steinen. Der Haken dabei: Die Bitumen-Gummi-Masse wird mit der Zeit weniger zähflüssig und das Gummi beginnt sich zu zersetzen; sie lässt sich nur etwa 48 Stunden lang verarbeiten. Beim «trockenen» Verfahren hingegen rieseln die Gummipartikel zunächst in die erhitzte Gesteinsmischung. Das Bitumen kommt erst später hinzu. Weil die Schweizer Fabrikanten darauf eingestellt sind, wählte man diesen Weg.

Die Erfahrungen bei der Herstellung waren beim Baustoffhersteller FBB in Bauma positiv. «Kein Problem», sagt Christian Gubler, Vorsitzender der Geschäftsleitung, «das war einfach.» Die Partikel wurden durch eine Klappe hindurch in die Gesteinsmischung geworfen – in Säcken, die sich bei der hohen Temperatur auflösen. «So wie wir das auch machen, wenn wir Farbstoffe hinzugeben, zum Beispiel für roten Asphalt», erklärt Gubler. Auch bei der Berner Weibel AG gab es keine Schwierigkeiten. «Das Handling war problemlos», sagt Samuel Probst, Leiter bituminöse Baustoffe und Belagswerke.

 Stresstests unter Wasser, Kälte, Druck

Die fertigen Produkte untersuchte ein Empa-Team um Asphaltspezialistin Lily Poulikakos vom Mikro- bis hin zum Grossmassstab. Neben Standardtests auf Bitumengehalt und Luftporen zeigten Aufnahmen mit dem Elektronenmikroskop, ob und wie sich die Gummipartikel in der Asphaltmatrix auflösen und verteilen.

Im Spaltzug-Test barsten Probekörper unter Druck von oben – je einer nass und trocken, um zu ermitteln, wie empfindlich sie auf Wasser reagieren. Wie sich das Material bei winterlicher Kälte verhält, zeigten Reissversuche bei minus 12 Grad. Schliesslich der Faktor Verkehr: Im «Hamburg Wheel Tracking»-Test erduldeten Proben in 50 Grad heissem Wasser 10 000 Überfahrten eines gut 70 Kilogramm schweren Stahlrades – ein harter Test auf Spurrillen. In die gleiche Richtung zielte ein Empa-eigener Simulator: Er setzte Beläge von 1,20 Metern Länge in acht Stunden 60 000 langsamen Reifen-Überfahrten mit hohen Lasten aus.

Die Analysen zeigten: Feinheiten entscheiden. So hängt zum Beispiel die optimale Dauer zwischen dem Mischen und dem Einbau auf der Strasse stark von Art und Menge des gewählten Gummigranulats ab. Im Vergleich mit dem altbekannten Polymerbitumen-Asphalt erfüllten die Deckschicht-Asphalte mit 0,7 oder 1 Prozent Gummi die Anforderungen mehrheitlich. Der Widerstand gegen Risse durch Kälte war bei einem Prozent Gummi deutlich grösser als beim Polymerbitumen-Asphalt. Bei der Wasserempfindlichkeit erfüllten die Baustoffe die Schweizer Anforderungen, allerdings mit einer Ausnahme. Und im Empa-eigenen Reifenlastsimulator entstanden in den Gummi-Asphalten zwar kleine, aber tiefere Spuren als im Polymerbitumen-Belag.

Fazit: Trotz einiger Nachteile erfüllte der Gummi-Asphalt die Anforderungen letztlich sicher. «Er ist auf jeden Fall für weitere Untersuchungen für den Einsatz im Strassenbau geeignet», resümiert Empa-Forscherin Poulikakos. Auch beim Hersteller TRS zeigt man sich mit den Ergebnissen zufrieden: «Wir haben damit eine professionelle Bestätigung bekommen», sagt Sonia Megert, Chief Operating Officer. «Das war eine sehr gute Zusammenarbeit. Auch bei Problemen hat die Empa schnell eine Lösung gefunden.»

Dass damit nur ein erster Schritt getan ist, ist freilich allen Partnern klar. Das Labor entspricht trotz aller Mühen nicht den realen Verhältnissen, erklärt Poulikakos. Die Experimente geben zwar einen detaillierten Eindruck, doch wie sich die jahrelange Belastung in der Realität auswirkt, «ist dann doch eine andere Sache», so die Spezialistin. «Die Wahrheit liegt letztlich auf der Strasse.»

 Drei Versuchsstrecken

Just dort fanden bereits weitere Schritte statt. In den Kantonen Jura und Waadt errichtete die Weibel AG mit Gummigranulat-Asphalt zwei Teststrecken auf Kantonsstrassen. «Ein Rauasphalt auf einer mittelstark belasteten Strecke», erläutert Samuel Probst, «und ein Deckasphalt auf einer relativ hoch belasteten Strasse. Es sollten ja echte Härtetests sein.»

Anders als bei früheren Erfahrungen mit dem "nassen" Herstellungsverfahren verlief der Einbau «absolut problemlos», so der verantwortliche Leiter. Gerüche durch erhitztes Gummi mussten die Mitarbeiter vor Ort nicht ertragen. Und die Konsistenz und Verarbeitung des Asphalts war mit einem Polymer-modifizierten Asphalt vergleichbar. Seinen wahren Charakter wird er freilich erst nach Jahren zeigen. Der Einbau fand im vergangenen Sommer statt; der Belag steckt damit noch in den Kinderschuhen.

Genauso wie ein weiterer Testasphalt, der als obere Schicht an einer hochbelasteten Kreuzung in Zürich verbaut wurde. Seine Laborwerte waren nicht über alle Zweifel erhaben: Beim Härtetest des Bitumens mit einer eindringenden Nadel schwankten die Resultate stark und lagen teils deutlich über den Sollwerten. «Das deutet daraufhin, dass er zu weich sein könnte», sagt Belagspezialist Martin Horat vom Tiefbauamt der Stadt Zürich. »Mal schauen, ob es Verformungen gibt, wenn es im Sommer heiss wird.»

Hans-Peter Beyeler, Direktor beim Verband «Eurobitume» in der Schweiz, beunruhigt das nicht sonderlich.  «Davon habe ich schon gehört. Ich würde mir da vorerst keine Sorgen machen», sagt der Fachmann, der zuvor fast 13 Jahre als Belagspezialist beim Bundesamt für Strassen (Astra) tätig war. Wenn Gummi und Bitumen vermischt würden, entstehe ein neues Material; auch in seinem Verhalten entspreche es nicht mehr den ursprünglichen Zutaten. Seine Einschätzung: «Der Nadeltest liefert womöglich einfach keine brauchbare Aussage.»

Dass es in der Branche auch Widerstand gegen Asphalt als «Müllschlucker» für Recyclingstoffe und Skepsis gegenüber Gummi in der Strasse gibt, versteht Beyeler freilich – aus eigener Erfahrung. Vor rund 15 Jahren erlebte er, wie auf der A1 im Aargau ein Test mit gummi-modizifiertem Bitumen, als Granulat zugegeben, gründlich daneben ging: Das Material war im Mischgut ungenügend aufgelöst; es bildeten sich Klumpen im Asphalt. In der Fahrbahn verteilten sie sich an der Oberfläche; sie mussten ausgebohrt und mit Gussasphalt aufgefüllt werden.

 Die Wahrheit liegt auf der Strasse

Seitdem hat sich indes einiges getan; warum also, findet Beyeler, nicht nochmals versuchen? Schliesslich gebe es auch gute Erfahrungen – nicht nur in den USA, wo die Technologie seit langem Praxis ist, sondern auch in Bayern. Dort sind gummi-modifizierte Asphalte schon Teil der Bauvorschriften – also Stand der Technik. Die Vorteile, vor allem bei porösen Deckschichten: höhere Abriebfestigkeit, langsamere Oxidation des Bitumens in den vielen Luftporen und damit eine verzögerte Versprödung. Kurzum: eine längere Lebensdauer.

Rohstoff gäbe es jedenfalls genug. Rund 70 000 Tonnen Altreifen fallen pro Jahr in der Schweiz an. Ein kleiner Teil davon wird rezykliert; der grösste Teil aber thermisch verwertet – in Kehrichtverbrennungsanlagen und, en gros, in Zementwerken, wo die Reifen Kohle als Brennstoff ersetzen und so die CO2-Bilanz aufbessern.

Ein Nutzen für das Klima?

Welche Auswirkungen die Nutzung von Altreifen in Strassenbelägen auf die Umwelt hat, untersucht Empa-Forscher Zhengyin Piao im Rahmen seiner Dissertation in Kooperation mit dem Institut für Umweltingenieurwissenschaften der ETH Zürich. Dabei analysierte Piao den gesamten Lebenszyklus von zwei Flüsterbelägen mit Gummiasphalt. Seine Berechnung am Modell eines Strassenstücks von einem Kilometer Länge zeigt, dass diese Beläge beim Energieverbrauch ähnlich abschneiden wie ein Polymerbitumen-Asphalt. Doch sie sorgen für deutlich geringere CO2-Emissionen – vor allem wegen der Polymere im Vergleichsprodukt.

Würden Gummigranulate in Strassen also zum Klimaschutz beitragen? Piaos Antwort: Es kommt auf die Situation an. In der Schweiz sparen Zementwerke durch die Verbrennung von Altreifen so viel CO2 –Ausstoss ein, dass Asphalt mit Gummi unter dem Strich ein klein wenig schwächer abschneidet als mit Polymeren. Doch gelingt es den Zementwerken wie geplant, ihre CO2-Emissionen in den kommenden Jahren noch stärker zu senken oder mit «Carbon-Capture»-Technologien mitsamt unterirdischer Lagerung sogar teils zu neutralisieren: Die Karten wären neu gemischt – womöglich zu Gunsten der Klimabilanz von Gummi-Asphalt …

Ob sich die Idee in der Schweiz durchsetzen könnte, hängt freilich auch vom Markt ab. Einen Vorteil hätten sie, meint Fachmann Samuel Probst vom Hersteller Weibel AG: Zumindest im Moment seien sie günstiger als Polymerbitumen-Asphalte. Sein Fazit formuliert er gleichwohl zurückhaltend: «Ich könnte mir schon vorstellen, dass dafür einmal ein Markt entsteht», sagt er, «wenn sich die Teststrecken auf lange Sicht positiv entwickeln.»

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