Eine Amputation von Gliedmaßen geht mit einer körperlichen Mobilitätsbeeinträchtigung einher. Die betroffenen Menschen sind auf eine speziell angefertigte Prothese angewiesen und mit stark veränderten Lebensumständen konfrontiert. Um diesen Menschen Mut zu machen und sich zudem selbst seinen großen Traum zu erfüllen, ist der oberschenkelamputierte Frank Kaufmann zu einer herausfordernden Pilgerreise nach Santiago de Compostela aufgebrochen.

Ein Lebenstraum ging in Erfüllung

„Agilität ist das Gebot der Stunde!“ sagte sich der 57-jährige oberschenkelamputierte Frank Kaufmann, als er sich am 25.09.2021 mit einem Rucksack aufmacht, um von Porto nach Santiago de Compostela zu gehen. Mit dem Caminho Portugues da Costa lagen 235 km vor ihm, für deren Bewältigung er dreieinhalb Wochen veranschlagt hatte. Begleitet wurde Frank von Dieter Engels (67), der ihm unermüdlich zur Seite stand. Sein Weggefährte, den er einst in der S-Bahn kennengelernt hat, ist die Strecke bereits 2019 mit seinen drei Söhnen gegangen.

Auch Frank wollte sich ursprünglich schon viel früher auf den Weg machen. Durch die Corona-Pandemie war er jedoch gezwungen, sein Vorhaben aufzuschieben. Ein Umstand, dem er dennoch etwas Gutes abgewinnen kann. Hat er doch während dieser Zeit auf Basis einer zufälligen Begegnung einen engen Kontakt zum Team des Prothesenherstellers Blatchford aufbauen können und dadurch tatkräftige Unterstützung bei den Vorbereitungen zu seiner Pilgerreise erhalten.

Von Porto nach Sanitago de Compostela

Frank und sein Gefährte hatten sich für den Jakobsweg durch den grünen Norden Portugals und entlang der spanischen Atlantikküste entschieden. Die Route gilt als eine der landschaftlich wie auch kulturell attraktivsten Pilgerwege. Während die in Porto beginnende erste Tagesetappe durch Vorstädte führt, geht es bereits am zweiten Tag in ein hügeliges Weinanbaugebiet. Im weiteren Verlauf der Strecke passieren die Wanderer auch die 3000-Seelen-Gemeinde Ponte de Lima. Das Dorf wird als eine der ältesten und schönsten Ortschaften Portugals gehandelt und markiert somit einen Höhepunkt der Pilgerreise.

Anschließend führt der portugiesische Jakobsweg etliche Kilometer durch idyllische Weinreben und dichte Pinienwälder bis zur Grenzstadt Valença, wo eine Brücke hinüber zur spanischen Stadt Tui führt. Ab hier verläuft die Route durch weitere Ortschaften wie etwa O Porriño, Mos und Redondela. Weiter geht es dann über Pontevedra bis nach Padrón. Dort soll der Legende nach einst das Schiff mit dem Leichnam des Heiligen Jakobus angelegt haben, damit die sterblichen Überreste mit einem Ochsenkarren nach Santiago gebracht werden konnten. Von hier aus führt der Jakobsweg schließlich durch Maisfelder, hügelige Weinberge und dunkle Pinienwälder bis letztlich mit der mächtigen Wallfahrtskathedrale von Santiago de Compostela das Ziel erreicht wird.

Sich dem Schicksal mutig entgegenstellen

Mit den herausfordernden Fußmärschen entlang der Atlantikküste hatte sich Frank ein großes Ziel gesteckt, dem er mit gebührendem Respekt begegnete. Schließlich war ihm klar, welch hoher Belastung allein das Knöchelgelenk bereits beim Gehen auf ebener Fläche standhalten muss. Besonders stark wird das Gelenk aber beansprucht, sobald es bergauf oder bergab geht. Gleichzeitig wollte er mit seiner Pilgerreise auch Menschen Mut machen, die von einer Amputation betroffen sind. Schließlich weiß er, wie sehr sie unter der drastischen Veränderung ihrer Lebensumstände leiden.

Ihm selbst wurde am 25.04.2017 das rechte Bein abgenommen, weil mehrere bakterielle Infektionen nach einer Routine-OP am Knie nicht in den Griff zu bekommen war. Diese Knie-OP wäre im Nachhinein nicht zwingend erforderlich gewesen. Das zu wissen, setzt Frank natürlich zu. Dennoch sieht er sich selbst trotz Amputation nach wie vor als glücklichen, zufriedenen und gelassenen Menschen, der seine Situation vor allem als Herausforderung empfindet.

Dabei waren seine ersten Erfahrungen mit einer Prothese nach der Amputation nicht gerade positiv. Dennoch hat er nicht aufgegeben und hart gearbeitet, um seine Mobilität zurückzugewinnen. Geholfen hat ihm dabei auch der enge und vertrauensvolle Kontakt zu Andreas Weingart, Orthopädietechniker vom Wiesbadener Sanitätshaus Achim Kunze. Der Gesundheitsexperte setzt auf eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit aller Fachgruppen. Inzwischen trägt Frank das von Blatchford entwickelte mikroprozessorgesteuerte Kniegelenk Orion3, das mit einem hydraulischen Knöchelgelenksprothesenfuß EchelonER kombiniert ist. Die funktional und energetisch optimal ausgelegte Prothese ermöglicht ihm ein natürliches Gehen auf verschiedenen Terrains. Zudem ist die Kniegelenksprothese mit einer inertialen Messeinheit ausgestattete, wodurch die Geschwindigkeit der Fortbewegung erkannt wird. Sobald Frank ins Stolpern gerät, reagiert das künstliche Kniegelenk sofort und sichert ihn ab. Überdies lässt sich die Prothese beispielsweise während dem alternierenden Bergabgehen wie ein gesundes Bein belasten, wodurch das unversehrte Bein entlastet wird.

Das hydraulische Knöchelgelenk EchelonER wiederum passt sich an Schrägen, Unebenheiten und verschiedene Absatzhöhen an. Die Prothese kann sich selbst ausrichten, was sowohl das Bergauf- und Bergabgehen erleichtert, als auch das Stolpern und Hängenbleiben verhindert. Frank konnte somit während seiner rucksackbepackten Wanderung steile Anhöhen, große Steine, steile Treppen, enge Gassen mit Kopfsteinpflaster und wurzelbewachsene Wege überwinden.

Herausforderungen mit einem Lächeln auf der Seele begegnen

Mit teilweise über 20 km langen Tagesetappen kamen Frank und sein Freund gut voran. Dennoch ist die Prothese ein Fremdkörper, für dessen Fortbewegung Frank als Oberschenkelamputierter um bis zu 100 % mehr Energie aufbringen muss. Ein vielfacher Mehraufwand an Energie, weshalb Frank aufgrund seiner Amputationshöhe im Vergleich zu Nichtamputierten während der Pilgerreise eine Wegstrecke von etwa 500 km zurückzulegen hatte. Ferner hatte Frank durch die tägliche körperliche Beanspruchung nicht nur an Gewicht verloren, auch seine Muskulatur hatte sich verändert. All das hat sich auf seinen Stumpf ausgewirkt, weshalb er sich nach Beendigung seiner Pilgerreise einen neuen Schaft für seine Prothese anpassen lassen musste. Die unvergesslichen Momente, die Frank während seiner Wanderung erlebte, machten die Strapazen der Pilgerfahrt allerdings wieder wett.

Gleichzeitig markiert die bereits nach zweieinhalb Wochen erfolgreich abgeschlossene Pilgerfahrt für Frank den Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Die vielen positiven Erfahrungen, die er während seiner Wanderung gemacht hat, will er zukünftig nutzen, um verzweifelten Menschen Mut zu machen und Perspektiven schaffen. Seine Vision ist es, in Reha-Kliniken betroffene Menschen mit Motivationsvorträgen anzuspornen, vor Selbsthilfegruppen zu sprechen und während Schulungen vor Orthopädietechnikern kurze Vorträge zu halten. Außerdem kann er sich vorstellen, deutschlandweit dreitägige Schnupperkurse für Prothesenanwender anzubieten, die sich auch auf das Abenteuer Jakobsweg einlassen möchten. Oder aber von einer Amputation betroffene Menschen auf dem Jakobsweg direkt zu begleiten und mit wertvollen Tipps zu unterstützen.

Das hier großes Interesse besteht, zeigen die vielfältigen positiven Kommentare und Ermutigungen, die Frank und Dieter über Facebook während ihrer Reise von Porto nach Santiago de Compostela erhalten haben. Viele Menschen haben über das soziale Netzwerk die ungewöhnliche Pilgerreise verfolgt und daran Anteil genommen. Außerdem haben sie auf diesem Wege auch Blatchford und Sanitätshaus Achim Kunze dafür gedankt, Frank bei der Verwirklichung seines Traums unterstützt zu haben.

>> Hier gibt es Etappenberichte und Bilder
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